Stimmen der Energieforschung: Johannes Kathan

Wir fragen Johannes Kathan vom AIT: "Welche Bedeutung haben Energiespeicher in der Energiewende?"

Februar 22, 2022

Die Energiewende stellt eine Herausforderung für die Energiewirtschaft dar.  Wasserkraft liefert im Winter weniger Strom, Photovoltaik produziert nur bei Sonnenschein hohe Erträge und Windkraftbetreiber:innen fürchten die Flaute. 100 Prozent erneuerbare Energie wird ohne Energiespeicher nicht möglich sein.

 

Herr Kathan, welche Bedeutung messen Sie Speichersystemen bei der Energiewende und in Hinblick auf die Entlastung der Stromnetze (Lastspitzen) bei?

Johannes Kathan: Generell eine sehr große, und die Bedeutung steigt mit dem Anteil der erneuerbaren Energien im Strommix. Denn wir sehen die größten Zuwächse bei Wind und Photovoltaik, die bekanntlich großen Schwankungen bei der Stromerzeugung unterliegen. Prinzipiell müssen wir bei den Speichersystemen zwischen zwei Typen unterscheiden: den Kurzzeit- und den Langzeitspeichern. Aktuell dominieren die Kurzzeitspeicher, vor allem Batteriespeicher. Künftig werden aber auch Langzeitspeicher immer wichtiger. Dabei wird Wasserstoff eine zentrale Rolle einnehmen. Ausgehend vom Wasserstoff kann sich in weiterer Folge eine große Technologievielfalt entfalten, vom „simplen“ Wasserstoffspeicher über Methanisierung und die Produktion von Ammoniak bis hin zur LOHC-Technologie (Liquid Organic Hydrogen Carrier).

Auch thermische Großspeicher werden einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten.

Denn die zunehmende Elektrifizierung des Wärmesektors wird einen zusätzlichen Strombedarf verursachen, besonders im Winter kann es hier zu hohen Lastspitzen und damit zu Belastungen des Stromnetzes kommen. Hier spielen Wärmespeicher eine wichtige Rolle, um einerseits Wärmelasten in Zeiten außerhalb der Spitzenlasten zu verschieben, andererseits um alternative Wärmequellen wie Geothermie nutzbar zu machen und so den Strombedarf zu reduzieren.

Das Thema Blackout ist in aller Munde. Wie wichtig sind Stromspeicher als Gegenstrategie für Netzbetreiber und Gemeinden?

Stromspeichersysteme können ganz generell einen großen Beitrag zur Sicherung der Stromversorgung leisten. Das beginnt bereits bei der Vermeidung von Netzausfällen. Das AIT arbeitet hier zum Beispiel im Projekt ABS4TSO (Advanced Balancing Services for Transmission System Operators) mit der Austrian Power Grid (APG) an Konzepten für neue Systemdienstleistungen zur Sicherung der Systemstabilität bei einem hohen Anteil erneuerbarer Energien. Sollte es dennoch zu einem Ausfall kommen, fällt auch derzeit bereits den Pumpspeicherkraftwerken eine wesentliche Rolle beim Netzwiederaufbau zu.

Stromspeicher in Gemeinden zur Aufrechterhaltung der kritischen Infrastruktur können je nach Situation durchaus sinnvoll sein. Insbesondere kann bei einer Kopplung mit PV eine weitergehende Notversorgung erreicht werden. Allerdings ist bei der Systemauslegung entsprechend darauf zu achten, dass Energie in den Speichersystemen vorgehalten wird, was in weiterer Folge den Nutzen für eine Eigenverbrauchsoptimierung reduziert.

Bei den meisten Stromspeichern handelt es sich um Batterien. Für welche anderen Technologien sehen Sie in absehbarer Zukunft Chancen?

Derzeit beherrschen Lithium-Ionen-Akkus den Markt für stationäre, netzgekoppelte Speichersysteme. Sie weisen technisch hervorragende Eigenschaften auf und werden gleichzeitig immer kostengünstiger. Insgesamt gibt es sehr viele alternative Speichertechnologien und es wird in diesem Bereich auch sehr viel geforscht beziehungsweise entwickelt. Beispielhaft können hier Natrium-Ionen-Batterien genannt werden, die eine vielsprechende Technologie darstellen. Letztlich hängt eine erfolgreiche Einführung alternativer Speichertechnologien nicht nur von den technischen Eigenschaften, sondern vor allem auch von einem entsprechend niedrigen Preis ab. Große Produktionskapazitäten zur Skalierung sind dabei ein wesentlicher Faktor für wettbewertbsfähige Preise. Hier setzen Lithium-Ionen-Batterien den Maßstab für die Einführung neuer Technologien.

Wasserstoff-basierte Speichersysteme nehmen hier eine besondere Position ein, da sie mittelfristig im Bereich der Langzeitspeicherung Batteriespeichersysteme ergänzen werden und so zunehmend an Bedeutung gewinnen.

Kleine Warmwasser- oder Pufferspeicher sind in Österreich weit verbreitet, Saison- oder Großspeicher dagegen trotz jahrzehntelanger Forschungsaktivität und etlicher Pilotprojekte immer noch rar. Woran liegt das und wie schätzen Sie das künftige Potenzial für große Wärmespeicher ein?

Die derzeit in der Fernwärme dominierenden fossilen oder biomassebasierten Erzeuger lassen sich gut saisonal steuern, sodass Saisonalspeicher nur bedingt notwendig sind. Aufgrund der zu erwartenden Priorität des Einsatzes erneuerbarer Brenn- und Treibstoffe für Industrieanwendungen erfordert die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung eine weitgehende Abkehr von Verbrennungsprozessen hin zu alternativen Wärmequellen, also Abwärme, Solar- und Geothermie und Wärmepumpen. Da diese Wärmequellen im Sommer einen Überschuss erzeugen und im Winter eher wenig zur Lastabdeckung beitragen, können Großspeicher einen saisonalen Ausgleich erzeugen und somit die Wärmelast im Winter reduzieren. Über solche Großspeicher kann auch die Abwärme aus Kühlprozessen nutzbringend verwendet werden, da diese sonst in die Umgebung abgegeben wird und so zum „Urban Heat Island“-Effekt beiträgt. Besonders spannend in diesem Zusammenhang sind Anergienetze, in denen die Kund*innen mit ihrer Klimaanlage zu Prosumer*innen werden können. Aber auch im Fernwärmenetz wird an innovativen Lösungen zur Speicherung der sommerlichen Überschusswärme geforscht (siehe hier).

 

 

Johannes Kathan MSc

absolvierte sein Bachelor-Studium „Energie- und Umweltmanagement“ an der FH Burgenland in Pinkafeld und schloss das Master-Studium „Renewable Urban Energy Systems“ an der FH Technikum Wien ab. Seit 2009 ist er für das AIT Austrian Institute of Technology tätig. Sein Spezialgebiet sind elektrische Speichersysteme.