Stimmen der Energieforschung: Nikolaus Fleischhacker
April 19, 2022
Österreich soll bis 2040 CO2-neutral werden. Neben dem Mobilitätssektor stellt dabei vor allem die Versorgung mit gasförmiger Energie eine große Herausforderung dar.
Das Erreichen der Klimaziele macht einen Umstieg auf erneuerbare Gase nötig, der Krieg in der Ukraine führt den Österreicher:innen die Abhängigkeit von russischem Gas vor Augen. Wie können wir zu einer ökologisch und politisch unbedenklichen Energieversorgung gelangen?
Nikolaus Fleischhacker: Indem wir – und hier möchte ich meinen Vater Ernst Fleischhacker zitieren – „die eigenen Ressourcen für die eigenen Zwecke nutzen, bevor es andere tun oder tun müssen“, das heißt konkret Strategien, Projekte, Produkte und Dienstleistungen für die Industrie, Gewerbe und Haushalte zu entwickeln, welche die Bedarfsdeckung mit den eigenen Ressourcen ermöglichen. Mit unserer Klima-, Energie- und Ressourcenstrategie und unserem Monitoringprogramm „Tirol 2050 energieautonom“ haben wir schon vor mehr als einem Jahrzehnt den Umbauprozess des Energiesystems auf Einsparung und eigene Ressourcennutzung eingeleitet. Das bedeutet, dass das System im Wesentlichen auf Strom umgebaut wird. Nur dieser kann aus den eigenen Ressourcen Sonne, Wasser, Wind und gegebenenfalls auch Biomasse (KWK) gewonnen werden. Dabei kommt es auf die Optimierung der direkten und indirekten Strombedarfsdeckung an. Wir sprechen dabei vom „Power on Demand“-Prozess zur direkten und vom „Power to Hydrogen“-Prozess zur indirekten Stromverwertung – vor allem für industrielle Prozesse, in denen ein Prozessgas notwendig ist und in der Mobilität, wo schwere Lasten über weite Strecken zu transportieren sind und ein Transport auf der Schiene nicht möglich ist.
Studien zeigen, dass ein nahezu vollständiger Umstieg auf Gase aus erneuerbaren Quellen – Biomethan, Holzgas, Klärgas und grüner Wasserstoff – bis 2040 oder 2050 möglich wäre. Teilen Sie diese Einschätzung?
Wir wissen, dass sich sehr viele Teilsysteme des Gesamtsystems Österreich – Haushalte, Quartiere, Betriebe der Dienstleistung bis hin zur Produktion – mit dem „Power on Demand“- und dem komplementären „Power to Hydrogen“ –Prozess auf dezentrale eigene Ressourcennutzung umbauen lassen. Vieles kann somit dezentral auf Energieautonomie und mehr Resilienz umgebaut werden. Für den verbleiben Rest – zum Beispiel die Voest – braucht es globale Ansätze.
Zum Thema grüner Wasserstoff wird viel geforscht, doch bislang sind keine nennenswerten Mengen auf dem Markt. Woran liegt das, und wie können wir beim Wasserstoff vom Reden ins Handeln kommen?
Auch hier muss ich vorne anfangen. Mein Vater hat sich 40 Jahre lang mit dem Umbau des Energiesystems beschäftigt. Ein Ergebnis davon: Das Energiesystem ist ein träges System, für dessen Umbau große Zeitkonstanten erforderlich sind. Das trifft nicht nur auf den Bau neuer großer Kraftwerke und Stromleitungen zu, sondern auch auf den Bau der ersten Anlagen zur Herstellung von grünem Wasserstoff. Diese gibt es noch nicht von der Stange. Die bislang installierten Elektrolyseure zur Erzeugung von grünem Wasserstoff aus Strom und Wasser sind Prototypen beziehungsweise Produkte aus ersten Kleinserien und daher auch noch sehr teuer. Dasselbe gilt für die dazugehörige Infrastruktur zur Verteilung und Anwendung. In Österreich wird der erste grüne Wasserstoff in größeren Mengen über das Projekt „WIVA P&G HyWest“ nach systematischen Gesichtspunkten der Versorgungs- und Vorsorge-Logistik verfügbar gemacht. Die im Rahmen des EU-Projektes „Demo4Grid“ errichtete Wasserstoffanlage von MPREIS in Völs ist somit die Speerspitze einer im Aufbau befindlichen grünen Wasserstoffwirtschaft in Österreich, die wir seit Jahren im Rahmen der privatwirtschaftlich organisierten Codex-Partnerschaft des Green Energy Centers Europe Schritt für Schritt auf- und ausbauen. Dort kann eine Alkali-Druck-Elektrolyse rund 1,3 Tonnen grünen Wasserstoff pro Tag herstellen. Mit einem ersten Logistik-System, das im Projekt HyWest organisiert wird, kann dieser erste grüne Wasserstoff auch ersten Bedarfsträgern in ganz Österreich zugänglich gemacht werden. In weiterer Folge werden im Projekt HyWest mit den Anlagen der Zillertalbahn und der TIWAG im Endausbau mehr als fünf Tonnen grüner Wasserstoff pro Tag verfügbar gemacht.
Für die Produktion von grünem Wasserstoff wird viel Ökostrom benötigt, doch beim Ausbau der Windkraft oder Photovoltaik gibt es Widerstände. Können wir uns das ökologisch, ökonomisch und moralisch noch leisten?
Unser Verständnis von Nachhaltigkeit ist, dass sich Ökologie, Ökonomie und Soziales in einem ständigen Spannungsausgleich befinden, bei dem keine Verbindung je reißen darf. Alle Projekte, die uns weg von Öl, Kohle und Gas hin zur eigenen Ressourcennutzung von Sonne, Wasser, Wind und Biomasse führen, müssen sich diesem permanenten Ausgleich stellen. Zentralwirtschaftlich aufgesetzte Global-Projekte haben damit sichtlich zunehmend große Probleme bekommen. Aus diesem Grund haben wir uns mit der privatwirtschaftlich organisierten Codex-Partnerschaft des Green Energy Centers Europe und unseren darin tätigen Firmen FEN Research und FEN Systems auf die Erforschung und Umsetzung dezentraler, lokaler/regionaler Autonomieprojekte spezialisiert. Mit dieser Struktur stellen wir uns nationalen und internationalen Forschungsförderungswettbewerben, um – der Zeit um 5 bis 15 Jahre vorauseilend – einerseits die Prozesse dezentraler Logistiksysteme zu erforschen und andererseits die realwirtschaftliche zeitnahe Umsetzung von Projekten, die die Bedarfsdeckung mit eigenen Ressourcen zum Inhalt haben, zu organisieren. Damit leisten wir unseren Beitrag zur Resilienz der Energiebedarfsdeckung in Österreich.
Dipl.-Ing. Dr. techn. Nikolaus Fleischhacker MSc BSc
ist CEO der Forschungsgesellschaft FEN Research GmbH und Leiter der Forschungszentren E-West und HyWest am Green Energy Center Europe. Er arbeitet mit seinem Vater Ernst Fleischhacker am Generationenprojekt „Umbau Energiesystem“.