Stimmen aus der Energieforschung: Michael Wedler
Dezember 12, 2022
Michael Wedler arbeitet für die deutsche Beratungsgesellschaft B.A.U.M. Consult und leitet die Begleitforschung zur FTI-Initiative „Vorzeigeregion Energie“ des Klima- und Energiefonds. Hier gibt er Auskunft über die ersten Ergebnisse.
Die FTI-Initiative „Vorzeigeregionen Energie“ geht in die Halbzeit. Erste Zwischenergebnisse des Programmmonitorings fallen positiv aus. Was ist in den „Vorzeigeregionen Energie“ gelungen, das über andere Forschungsförderungsschienen nicht so einfach zu erreichen gewesen wäre?
Grundsätzlich ist der Emergenzgedanke voll aufgegangen: Die drei Vorzeigeregionen sind offenkundig mehr als die Summe ihrer wundervollen Subprojekte. Das fängt mit der Sichtbarkeit an: Alle Vorzeigeregionen sind auf der Verbundebene sehr präsent in der österreichischen und auch der internationalen Fachöffentlichkeit. Wir zählen da bereits weit über 400 Einzelaktivitäten in Form von Vorträgen, Artikeln und anderen Publikationen. Die Kommunikation wird nicht von Fall zu Fall, sondern strategisch aufgebaut, sodass ein Gesamtbild erkennbar ist. Auch die Reichweite in die sozialen Medien stieg enorm. Es vergeht keine Woche ohne Beiträge auf LinkedIn. Die Erfolge werden allgemeinverständlich aufbereitet und mit Wiedererkennungseffekt, wofür die drei Vorzeigeregionen jeweils stehen: Energietransformation nah am Prosumer, Dekarbonisierung der Industrie, Wasserstoffwertschöpfungskette. Die Vorzeigeregionen geben Positivbilder und Erfolgsstorys für die Energiewende in allen Lebensbereichen.
In ihnen wird das Energiesystem insgesamt bedacht. Strom, Wärme, Industrie und Mobilität werden sektorintegrierend behandelt. Es geht nicht mehr um die Steigerung des technologischen Reifegrades (TRL) von Einzelkomponenten, sondern im Sinne des Zusammenspiels von Technologie, Markt und Gesellschaft um projektübergreifende Systemlösungen.
Beleben die Vorzeigeregionen Energie die Wirtschaft in Österreich? Wie kann man dies messen und welche Branchen profitieren besonders davon?
Wir konnten feststellen, dass neben der Energiebranche mit 50 Prozent erstaunlich viele andere Industriezweige – allen voran die Chemie- und Wasserstoffwirtschaft mit 25 Prozentpunkten – als Projektpartner eingebunden sind. Lösungen werden gemeinsam mit den Bedarfsträgern aus den Industriezweigen Papier, Holz, Stahl, Chemie, Informations- und Halbleitertechnologie, aus der Automobilindustrie sowie mit großen und kleinen heimischen Technologieanbietern erarbeitet. Zwei Drittel der rund 400 Millionen Euro Gesamtprojektvolumen wird durch die Unternehmen aufgebracht – der beste Beweis für einen hohen Nutzen, den sich die Betriebe aus den Musterlösungen erwarten. Es geht nicht nur um die Handvoll Patente, die in den Projekten hier und da gesichert werden. Es geht auch nicht um die rund 50 bis 100 Green Jobs, die durch die Einführung der Demonstrationsanlagen bereits geschaffen wurden. Es geht um Aufbau heimischer Coengineering-Kompetenz, also um die Fähigkeit, auch künftig unternehmensübergreifend Systemlösungen zu erarbeiten – für Österreich und den internationalen Markt. Für grüne Start-ups bieten sich in den Projektkonsortien zahlreiche Chancen, die Kooperation mit großen Unternehmen und neuen Kundengruppen kennenzulernen. Die energieintensiven Industrien bekommen Musterlösungen zur Dekarbonisierung ihrer Prozesse aufgezeigt. Klimaneutralität wird zum wichtigen Produkt-Attribut – schneller als wir zu Beginn der Vorzeigeregionen erwarten durften. Die gesamte Wasserstoffwirtschaft Österreichs – von der Produktion über die Logistik bis zur Anwendung in Industrie und Mobilität – organisiert sich in den Vorzeigeregionen, um heimische Potenziale mit vereinten Kräften zu mobilisieren und den internationalen Anschluss zu sichern. Und gerade bei der Energiewende vor Ort entstehen auch ganz neue Wertschöpfungsketten zwischen Handwerk, Kommunen und Bürger:innen.
In zahlreichen Forschungsprojekten aus den Vorzeigeregionen Energie entstehen funktionstüchtige Pilot- und Demonstrationsanlagen – zum Beispiel Elektrolyseure für grünen Wasserstoff, Wärmepumpen für die industrielle Prozesswärmeversorgung oder Stromspeicher aus genutzten E-Auto-Batterien. Was wäre aus Ihrer Sicht nun erforderlich, um von der Testphase zur großtechnischen Anwendung zu gelangen?
Wir bewegen uns mit der Innovationsförderung der Vorzeigeregionen bereits in die Marktnähe (Reifegrad 6-8), weiter reichen wir mit Forschungsförderprogrammen nicht. Für die massentaugliche Einführung der Musterlösungen zur schnelleren und resilienten Energietransformation Österreichs kommt es auf den passenden rechtlich-regulatorischen Rahmen an. Hier stoßen die Anpassungs-Empfehlungen aus den Vorzeigeregionen bereits auf offene Ohren bei den zuständigen Ministerien und Regulierungsbehörden.
Neben dem rechtlichen Rahmen sind die ökonomischen Anreize zentraler Treiber für den Markthochlauf. Die aktuellen Energiepreise und Versorgungsunsicherheiten bei fossilen Rohstoffen beschleunigen das Interesse an zukunftsfähigen, auf Erneuerbaren basierenden und klimafreundlichen Lösungen made in Austria. Für den konkurrenzfähigen heimischen und internationalen Einsatz der Musterlösungen spielen global vergleichbare Wettbewerbsbedingungen eine Schlüsselrolle. Zumindest für Europa müssen wir uns also auch um eine klimagerechte Harmonisierung der Märkte und flankierend um die Standards und Normen kümmern, um auch erfolgreich exportieren zu können.
Für die Skalierung bedarf es zudem hinreichender Kapazitäten an Ressourcen und Fachkräften. Auch hier zeigen uns die aktuellen Engpässe eine große Aufgabe auf. Der Resilienzgedanke ist bei den Vorzeigeregionen schon lange angekommen. Regionalisierung, Wertschöpfungsketten und Fachkräfte-Entwicklung gehören zu den Strategien, um wieder mehr Selbstwirksamkeit zu erlangen.
Michael Wedler
ist Diplomforstwirt und seit 1995 in der Regionalentwicklung tätig. Er fungiert als Bereichsleiter Politik- und Strategieberatung sowie als Senior Consultant Smart Energy/Mobility bei der B.A.U.M. Consult GmbH.
Im Rahmen der Initiative „Vorzeigeregion Energie“ werden Musterlösungen für intelligente, sichere und leistbare Energie- und Verkehrssysteme entwickelt und demonstriert. Sie zeigen, dass eine Energieversorgung auf Basis von bis zu 100% erneuerbarer Energie mit Innovationen aus Österreich machbar und wirtschaftlich sinnvoll ist. Von 2018 bis 2025 investiert der Klima- und Energiefonds bis zu 120 Millionen Euro, dotiert aus Mitteln des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) in die drei Vorzeigeregionen. Gemeinsam mit den Mitteln von privater Seite sollen insgesamt in den acht Jahren Laufzeit mehr als 400 Millionen Euro investiert werden. Mehr als 200 Projektpartner aus Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung arbeiten an unserer Energiezukunft und sorgen für die international erfolgreiche Positionierung in der Spitzenliga.
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Vorzeigeregion Energie