Stimmen aus der Energieforschung: Christoph Brunner

September 21, 2022

Die Industrie ist für ein gutes Drittel der österreichischen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Welche Rolle spielt Innovation, um die heimische Industrie zu dekarbonisieren? Wo sehen Sie den größten Forschungsbedarf?

Um die Dekarbonisierung zu beschleunigen, kann man nicht nur auf die bestehenden Technologien setzen, sondern muss diese verbessern und neue innovative Lösungen anbieten. Dabei geht es einerseits darum, erneuerbare Energietechnologien wie Wärmepumpe, Biomasse oder Solarthermie effizienter zu gestalten und andererseits neue Technologien wie zum Beispiel im Bereich von thermischen und elektrischen Speicherlösungen oder auch Prozesstechnologien zu entwickeln.

Der Forschungsbedarf ist in der Industrie vor allem dort gegeben, wo höhere Temperaturen für die Produktion notwendig sind. Dabei sind besonders Wärmepumpentechnologien, die Temperaturen über 150°C bereitstellen, Speicherentwicklungen, um zum Beispiel Wärme über 150°C effizient zu speichern, wirtschaftliche Wasserstofferzeugung und -verteilung sowie Fragestellungen der exergetischen Optimierung von Prozesstechnologien als Beispiele zu nennen. Um den Energiebedarf der Industrie signifikant zu reduzieren, bedarf es vor allem Innovation in neuen Technologien für Produktionsprozesse. Dabei sind die Senkung von Prozesstemperaturen, die kontinuierliche Prozessführung oder Membrane als Trennprozess Schlüssel-Innovationen der Zukunft.

Wasserstoff ist ein wichtiger Energieträger zur Erreichung der gesetzten Klimaziele in der Industrie. Das Potenzial erneuerbaren Stroms, beispielsweise Überschussstrom aus Photovoltaik, reicht aber bei weitem nicht aus, um ausreichend grünen Wasserstoff für die Dekarbonisierung der Industrie herzustellen. Welche alternativen Wege für die Wasserstoffherstellung sehen Sie?

Neben der bekannten Wasserstofferzeugung über Elektrolyse sehe ich zwei zukünftige alternative Wege, um den Energievektor Wasserstoff ausreichend bereitstellen zu können: einerseits die Umwandlung von Biomasse und andererseits  photokatalytische oder photoelektrochemische Prozesse.

Die thermochemischen Pyrolyse- und Vergasungstechnologien für die Wasserstofferzeugung sind tragfähige Ansätze und bieten ein sehr hohes Potenzial, in naher Zukunft in großem Maßstab wettbewerbsfähig zu werden. Die fermentative Wasserstofferzeugung steckt noch in den Kinderschuhen und erfordert daher erheblichen Forschungsbedarf. Bei angemessener Berücksichtigung der Kostenfaktoren für Biomasse und des Werts des biogenen Kohlenstoffs können Biowasserstoffverfahren für die Behandlung von biogenen Abfällen/Rückständen als Alternative zur Entsorgung geeignet sein.

Die photoelektrochemische und photokatalytische Wasserstofferzeugung sind Zukunftstechnologien, die ein hohes Potenzial aufweisen, weil sie mit den erneuerbaren Ressourcen Wasser und Sonnenlicht betrieben werden. Diese Technologien haben einen TRL-Wert* von 2 bis 4, was bedeutet, dass für ihre weitere Entwicklung massive öffentliche Mittel für Forschung und Entwicklung erforderlich sind. Die Wettbewerbsfähigkeit von Wasserstoff aus solarer Energie wird durch weitere Innovationen aber stetig zunehmen.

Weiters sehe ich auch Potenzial für Ammoniak als einen alternativen kohlenstofffreien Energieträger, der Vorteile durch die höhere Energiedichte und den problemloseren Transport bringt. Die Erzeugung bzw. Gewinnung aus organischen Reststoffen wird einen weiteren Beitrag zur Dekarbonisierung in der Industrie leisten.

Membrane sind Multitalente der industriellen Energiewende. In welchen Anwendungsbereichen sehen Sie hohes Potenzial? Was sind die Herausforderungen, die es noch zu lösen gilt?

Neben dem Einsatz in der Batterietechnik sehe ich die Membrantechnologie vor allem als Ersatz für Trennprozesse und Aufkonzentrierungsprozesse in der Industrie. Diese Prozesse sind in fast allen Industriesektoren zu finden. Membrane führen in den meisten Fällen zu einer Reduktion des Energieverbrauchs, oft aber auch zu Produktverbesserungen wie zum Beispiel höhere Produktreinheit oder verbesserte Produktqualität durch die schonendere Behandlung. Beides sind zusätzliche Anreize, um Membrane einzusetzen. Herausforderungen sehe ich vor allem in der Weiterentwicklung der Membrane und der Herstellung multifunktionaler Membranen, im Upscaling und Dauerbetrieb von unterschiedlichen Membrananwendungen in der Industrie, in neuen systemischen Integrationen in industriellen Bioraffinerien sowie in Kombinationen verschiedener Membrantechnologien – wie zum Beispiel eine Kombination aus Forward-Osmose und Membrandestillation.

AEE – Institut für Nachhaltige Technologien ist ein sehr aktives Mitglied im internationalen Netzwerk der IEA-Forschungskooperation. Was erwarten Sie sich aus der Teilnahme?

Für AEE – Institut für Nachhaltige Technologien bietet die Teilnahme an den IEA-Forschungskooperationen eine perfekte Möglichkeit, sich auf einer internationalen Ebene mit Wissenschaftler:innen zu vernetzen und durch den intensiven Austausch Impulse für die Weiterentwicklung von nationalen Forschungsergebnissen zu erlangen. Die IEA-Netzwerke bilden auch sehr oft eine perfekte Ausgangslage für weitere europäische Forschungsprojekte und stärken somit unsere Rolle in der europäischen Forschungslandschaft.

* TRL: Technology Readiness Level, auf Deutsch als Technologie-Reifegrad. Die Skala reicht von 1 (Beobachtung und Beschreibung des Funktionsprinzips) bis 9 (Qualifiziertes System mit Nachweis des erfolgreichen Einsatzes).

 

DI Christoph Brunner

ist Geschäftsführer von AEE – Institut für Nachhaltige Technologien, einer renommierten Forschungsinstitution mit Sitz in Gleisdorf. Zuvor war er Leiter des Forschungsschwerpunkts Nachhaltige Techniken am JOANNEUM RESEARCH Institut für Nachhaltige Techniken und Systeme.